„Anything Goes“

Es weihnachtet bald. Ja, Weihnachten ist Big Business. Im Einzelhandel wird in diesen Tagen das Geschäft des Jahres gemacht. In völlig überfüllten Passagen tobt der konsumistische Kampf um die begehrte Geschenkware. Es wird geschubst, gedrängelt, geschimpft, gekauft – Wirtschaft in Reinform halt.

Genauer gesagt: die bedrückende Seite der Wirtschaft. In unserem Geschäftsleben scheint sich die Maxime immer weiter zu verfestigen, dass harte Ellbogen wichtiger seien als ein kultivierter Umgang miteinander. Machtgehabe geht vor Kooperation, die Cleveren schlagen die Smarten, Betuchte werden verwöhnt, Schwächere verhöhnt.

Ist der Erfolg wirklich ein endlicher Kuchen – klein und schnell vergriffen -, um den man knallhart kämpfen muss?

Neulich habe ich im Gespräch die Meinung geäußert, dass bestimmte Geschäftsmodelle besonders unfair seien und ich daher lieber auf die damit verbundenen Vorteile verzichten würde. Die Antwort überraschte mich: „Wenn man es mit seinem Gewissen vereinbaren kann, dann ist das doch in Ordnung.“

Für mich war die Diskussion an dieser Stelle zu Ende. Gegen so viel Logik bin ich machtlos.

Ich möchte nun nicht unnötig herumphilosophieren und schon gar nicht moralisieren. Das ist nicht meine Branche. Es geht jetzt nicht darum, den Sinn des Lebens zu finden (oder neu zu erfinden),  was erstaunlicherweise ohnehin als dümmliche Schnapsidee belächelt wird. Es geht vielmehr einfach um ein Umfeld, in dem Unternehmertum Freude macht, in dem man gerne verweilt, in dem man am Ende des Tages nicht erst dann zu sich selbst findet, wenn man die Haustür hinter sich abschließt und endlich allein sein kann.

Mir leuchtet nicht ein, dass man nur erfolgreich sein kann, wenn man jede Opportunität, die nicht juristisch eindeutig angreifbar ist, gnadenlos ausnutzt, unabhängig von möglichen „Kollateralschäden“. Was geht, das geht doch! So tönt – auf Neudeutsch – die „Anything-goes-Gesellschaft“.

„Mach, was du willst. Darfst dich bloß nicht erwischen lassen. Die anderen tun’s doch auch. Nimm’s nicht persönlich.“ Sollte sich dieses Denkmodell durchsetzen (oder sind wir schon so weit?), dann wäre das ein Problem für die gesamte Gesellschaft. Denn die Anything-goes-Mentalität zerstört die wichtigste Grundlage einer erfolgreichen Wirtschaftsordnung: das Vertrauen.

Solange sich die Geschäftspartner blind vertrauen können, sind förmliche Verträge überflüssig – ebenso wie sie sich als nutzlos erweisen können, wenn es an Vertrauen mangelt. Verträge dienen allenfalls der juristischen Schadensbegrenzung. Ohne ein Mindestmaß an Vertrauen ist keinerlei Zusammenarbeit möglich; im resultierenden Jeder-gegen-jeden-Kampf stünden am Ende alle als Verlierer da. „Die Hölle – das sind die Anderen.“

Ein berüchtigter Kriegsherr soll einmal gesagt haben, es gehe ihm nicht darum zu gewinnen – sondern darum, dass alle anderen verlieren. Wollen wir dahin?

Und: Nein, es geht keineswegs darum, dass wir uns alle ganz doll lieb haben sollen. Was für eine Vorstellung! Man kann sich auch zu Tode lieben. Doch etwas mehr Respekt wäre in unserem geschäftlichen Alltag angebracht. Die Vorstellung, dass Wettbewerb und Fairness sich nicht vertrügen, ist niederträchtig.

Fairness ist kein Ballast – sie ist die Lösung. Sie bringt mehr Freude am Geschäftsleben. Es macht viel mehr Spaß, einen fairen Kampf zu gewinnen, und es tut weniger weh, ihn auch einmal zu verlieren.

Die Zeit ist knapp. In kosmischen Maßstäben gesehen sind es ja nur ein paar Sekundenbruchteile, die uns zur Verfügung stehen.

Oder, wie die Engländer sagen: „You can’t take it with you.“

Roman Mildner
Über Roman Mildner 79 Artikel
Ich bin zertifizierter Projektmanager (PMP), Managementberater und Buchautor. Seit 1992 bin ich in der IT-Branche und seit 1998 als Managementberater tätig. Zu meinen Arbeitsschwerpunkten gehören Technologiestrategie und Prozessverbesserung, insbesondere im Bereich von Automotive SPICE. Weitere Details finden Sie hier.

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